Pressemeldung der ESO vom 20.10.2010:

Ein europäisches Astronomenteam hat mit dem Very Large Telescope (VLT) der ESO die Distanz zur fernsten bisher bekannten Galaxie bestimmt. Ihren Untersuchungen des extrem schwachen Glimmens der Galaxie zufolge zeigen die Aufnahmen das Aussehen des Objekts zu einer Zeit, als das Universum erst 600 Millionen Jahre alt war (entsprechend einer so genannten Rotverschiebung von 8,6). Damit handelt es sich um die ersten gesicherten Beobachtungen einer Galaxie, deren Licht den undurchsichtigen Wasserstoffnebel durchdringt, mit dem das frühe Weltall angefüllt war. Die Ergebnisse der Studie erscheinen am 21. Oktober in der Fachzeitschrift Nature.

Mit dem Very Large Telescope der ESO konnten wir eine Galaxie, die bereits vorher mit dem Hubble-Weltraumteleskop entdeckt wurde, als das am weitesten entfernte Objekt im uns bekannten Universum identifizieren” [1] erklärt Matt Lehnert vom Observatoire de Paris, Erstautor des Fachartikels, in dem die neuen Ergebnisse vorgestellt werden. „Erst die Leistungsfähigkeit des VLT und seines SINFONI-Spektrografen hat es uns ermöglicht, die Entfernung zu dieser sehr lichtschwachen Galaxie zu bestimmen. Wir sehen den Zustand dieses Objekts zu einer Zeit, als das Universum erst 600 Millionen Jahre alt war.

Die Untersuchung dieser ersten Galaxien ist ein extrem schwieriges Unterfangen. Bis ihr Licht die Erde erreicht, ist aus intensivem Leuchten ein extrem schwaches Glimmen geworden. Hinzu kommt, dass uns der größte Teil dieses schwachen Lichtsignals im infraroten Teil des Spektrums erreicht, da die Wellenlänge des Lichts durch die Expansion des Universums gedehnt wurde – ein Effekt, den man als „Rotverschiebung“ bezeichnet. Diese ohnehin schon schwierigen Ausgangsbedingungen werden dadurch noch weiter verschärft, dass das Universum weniger als eine Milliarde Jahre nach dem Urknall gar nicht vollständig durchsichtig war: Ein großer Teil des Raumes war von einem Nebel aus Wasserstoffgas ausgefüllt, der das intensive ultraviolette Licht der jungen Galaxien absorbierte. Die Epoche in der Geschichte des Kosmos, in der sich der Nebel durch den Einfluss dieser ultravioletten Strahlung aufklarte heißt Reonisationsära [2].

Trotz dieser Hürden gelang es 2009 mit der neuen Wide Field Camera 3 am ESA/NASA-Weltraumteleskop Hubble, mehrere aussichtsreiche Kandidaten für Galaxien zu entdecken, deren Licht uns aus eben dieser Ära der Reonisation  erreicht [3]. Es ist eine enorme Herausforderung, die Entfernung eines solchen Objekts hinreichend zuverlässig zu bestimmen. Dies kann nur durch spektroskopische Untersuchungen mit sehr großen, bodengebundenen Teleskopen gelingen, indem man die Rotverschiebung des Lichtes der Galaxie misst [4].
 
“Nach der Veröffentlichung der Galaxienkandidaten aus den Hubble-Beobachtungen machten wir eine kurze Abschätzung, ob es überhaupt möglich sein würde, sie näher zu untersuchen. Wir waren sofort wie elektrisiert, denn wir fanden heraus, dass mit dem gewaltigen Lichtsammelvermögen des VLT in Kombination mit der Empfindlichkeit des Infrarotspektrografen SINFONI bei einer außergewöhnlich langen Belichtungszeit tatsächlich eine Entfernungsbestimmung dieser extrem schwachen Galaxien möglich sein sollte.” 

Auf gesonderten Antrag beim Generaldirektor der ESO bekam das Team eine Beobachtungszeit von 16 Stunden für die Galaxie UDFy-38135539 am VLT bewilligt [5]. Nach zweimonatiger, sehr sorgfältiger Auswertung stand fest, dass die Wissenschaftler dort zweifelsfrei das extrem schwache Leuchten von Wasserstoff bei einer Rotverschiebung von 8,6 beobachtet hatten. Das macht die Galaxie zum entferntesten jemals spektroskopisch bestätigten Objekt. 

Koautorin Nicole Nesvadba vom Institut d’Astrophysique Spatiale in Paris fasst zusammen: “Die Rotverschiebung einer so weit entfernten Galaxie zu messen, ist schon für sich genommen eine sehr aufregende Sache, aber noch viel wichtiger sind die astrophysikalischen Schlussfolgerungen: Zum ersten Mal können wir sicher sein, eine der Galaxien beobachtet zu haben, die dazu beigetragen hat, den Nebel im frühen Universum zu lichten.

Überraschend dabei ist, dass das Leuchten von UDFy-38135539 selbst nicht intensiv genug gewesen sein dürfte, um einen Weg durch den Wasserstoffnebel zu bahnen. “Es muss also andere, vermutlich schwächere und weniger massereiche Begleitergalaxien von UDFy-38135539 geben, die ebenfalls dazu beigetragen haben, den Raum um UDFy-38135539 transparent zu machen. Ohne diese Unterstützung wäre das Licht der Galaxie im umgebenden Wasserstoffnebel gefangen geblieben, und ganz egal wie intensiv es ursprünglich gewesen wäre, wir hätten es nicht beobachten können“,  erklärt Mark Swinbank von University of Durham, ebenfalls Koautor der Studie.

Koautor Jean-Gabriel Cuby vom Laboratoire d’Astrophysique de Marseille fügt hinzu: „Die Untersuchung der Reionisationsära stößt an die Grenzen der Möglichkeiten heutiger Teleskope und Instrumente. Doch sobald das European Extremely Large Telescope der ESO in Betrieb geht – es wird dann das größte im Optischen und im nahen Infrarot arbeitende Teleskop der Welt – werden derartige Messungen ganz alltäglich sein.

Notizen

[1] Eine frühere ESO-Pressemitteilung (eso0405) hatte über ein Objekt in noch größerer Entfernung (bei einer Rotverschiebung von 10) berichtet. Folgeuntersuchungen konnten jedoch kein Objekt mit entsprechender Helligkeit an der entsprechenden Stelle nachweisen, und kürzlich erfolgte Nachbeobachtungen mit dem Weltraumteleskop Hubble erbrachten keinen eindeutigen Befund. Daher halten die meisten Astronomen es nicht für zulässig, das entsprechende Objekt als sehr weit rotverschobene Galaxie zu identifizieren.

[2] Nach dem Urknall vor etwa 13,7 Milliarden Jahren begann das Universum, sich abzukühlen, so dass sich später Elektronen und Protonen zu Wasserstoffgas verbinden konnten. Dieses kalte, dunkle Gas war der Hauptbestandteil des Universums während des so genannten „Dunklen Zeitalters“, in dem es noch keine leuchtenden Objekte gab. Diese Epoche endete mit der Bildung der ersten Sterne, deren intensive Ultraviolettstrahlung den Wasserstoffnebel wieder durchsichtig machte, indem sie die Atome erneut in Elektronen und Protonen auftrennte. Dieser Abschnitt der Frühgeschichte des Universums – von rund 150 bis rund 800 Millionen Jahren nach dem Urknall – wird als „Reionisationsära“ bezeichnet.. Ein genaues Verständnis des Prozesses der Reionisation und der Bildung und Entwicklung der ersten Galaxien ist eine der großen Herausforderungen der modernen Kosmologie.
 
[3] Die Hubble-Beobachtungen werden unter http://www.spacetelescope.org/news/heic1001/ näher beschrieben.

[4] Astronomen kennen im Wesentlichen zwei Methoden, die Entfernungen der ersten Galaxien zu bestimmen. Eine Möglichkeit besteht darin, sehr tiefe Belichtungen durch verschiedenfarbige Filter durchzuführen und damit die Helligkeit vieler Objekte bei verschiedenen Wellenlängen zu messen. Anschließend vergleicht man diese Messwerte mit den Erwartungswerten für verschiedene Galaxientypen zu verschiedenen Zeiten in der Geschichte des Universums. Diese Technik wurde vom Hubble-Team angewandt und ist zur Zeit die einzige Möglichkeit, diese sehr schwachen Galaxien zu entdecken. Die Methode ist aber leider nicht immer zuverlässig: Beispielsweise kann sich eine scheinbar schwache, weit entfernte Galaxie manchmal als ganz gewöhnlicher, kühler Stern innerhalb unserer Milchstraße entpuppen.
Sind Kandidatenobjekte einmal entdeckt, kann man zuverlässigere Einschätzungen der Entfernung (gemessen über die Rotverschiebung) erhalten, indem man das Licht der Objekte in seine Spektralfarben zerlegt und nach den „chemischen Fingerabdrücken“ der Emission von Wasserstoff oder anderen Elementen sucht. Diese spektroskopische Methode ist für Astronomen die einzige Möglichkeit, zuverlässige und genaue Entfernungsmessungen zu erhalten.

[5] Die ungewöhnliche Bezeichnung zeigt an, dass das Objekt im Suchgebiet des sogenannten Hubble Ultra Deep Field gefunden wurde, einem Himmelsgebiet, das schon von vielen Teleskopen und Raumsonden eingehend untersucht wurde. Die Zahlenfolge ergibt sich aus der genauen Position des Objekts am Himmel.

Weitere Informationen

Die hier vorgestellten Forschungsergebnisse erscheinen am 21. Oktober 2010 unter dem Titel “Spectroscopic confirmation of a galaxy at redshift z=8.6” in einem Artikel von Lehnert et al. in der Fachzeitschrift Nature.

Die beteiligten Wissenschaftler sind M. D. Lehnert (Observatoire de Paris – Laboratoire GEPI / CNRS-INSU / Université Paris Diderot, Frankreich), N. P. H. Nesvadba (Institut d’Astrophysique Spatiale / CNRS-INSU / Université Paris-Sud, Frankreich), J.-G.Cuby (Laboratoire d’Astrophysique de Marseille / CNRS-INSU / Université de Provence, Frankreich), A. M. Swinbank und S. Morris (University of Durham, Großbritannien), B. Clément (Laboratoire d’Astrophysique de Marseille / CNRS-INSU / Université de Provence, Frankreich), C. J. Evans (UK Astronomy Technology Centre, Edinburgh, Großbritannien), M. N. Bremer (University of Bristol, Großbritannien) and S. Basa (Laboratoire d’Astrophysique de Marseille / CNRS-INSU / Université de Provence, Frankreich).

Mit dem Spectrograph for INtegral Field Observations in the Near Infrared (kurz SINFONI, wörtlich etwa "Räumlich aufgelöst arbeitender Spektrograf für das nahe Infrarot") werden spektroskopische Untersuchungen ausgedehnter Objekte im Nahinfrarotbereich durchgeführt. SINFONI besteht aus einem von der ESO entwickelten Modul für Adaptive Optik zum Ausgleich atmosphärischer Verzerrungen und aus dem Spektrografen SPIFFI (SPectrometer for Infrared Faint Field Imaging). SPIFFI wurde von der NOVA-Kollaboration niederländischer Universitäten und dem Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching konzipiert und gebaut.

Die Europäische Südsternwarte ESO (European Southern Observatory) ist die führende europäische Organisation für astronomische Forschung und das wissenschaftlich produktivste Observatorium der Welt. Getragen wird die Organisation durch ihre 14 Mitgliedsländer: Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Italien, die Niederlande, Österreich, Portugal, Spanien, Schweden, die Schweiz, die Tschechische Republik und das Vereinigte Königreich. Die ESO ermöglicht astronomische Spitzenforschung, indem sie leistungsfähige bodengebundene Teleskope entwirft, konstruiert und betreibt. Auch bei der Förderung internationaler Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Astronomie spielt die Organisation eine maßgebliche Rolle. Die ESO betreibt drei weltweit einzigartige Beobachtungsstandorte in Nordchile: La Silla, Paranal und Chajnantor. Auf dem Paranal betreibt die ESO mit dem Very Large Telescope (VLT) das weltweit leistungsfähigste Observatorium für Beobachtungen im Bereich des sichtbaren Lichts, sowie VISTA, das größte Durchmusterungsteleskop der Welt. Die ESO ist der europäische Partner für den Aufbau des Antennenfelds ALMA, das größte astronomische Projekt überhaupt. Derzeit entwickelt die ESO das European Extremely Large Telescope (E-ELT) für Beobachtungen im Bereich des sichtbaren und Infrarotlichts, mit 42 Metern Spiegeldurchmesser ein Großteleskop der Extraklasse.

Die Übersetzungen von englischsprachigen ESO-Pressemitteilungen sind ein Service des ESO Science Outreach Network (ESON), eines internationalen Netzwerks für astronomische Öffentlichkeitsarbeit, in dem Wissenschaftler und Wissenschaftskommunikatoren aus allen ESO-Mitgliedsstaaten (und einigen weiteren Ländern) vertreten sind. Deutscher Knoten des Netzwerks ist das Haus der Astronomie am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg.

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"Woher weiß man, wann ein Stern entstanden ist, d.h. ob er zur Generation der Sterne mit dem ersten Licht gehört?" 
 
Antwort: 
Die Photosphären der Sterne ändern im Laufe des Sternenlebens fast überhaupt nicht ihre chemische Zusammensetzung (Ausnahme: Eine Supernova in der Nähe sorgt für den Einfall von schweren Elementen, also wenn Material von außen draufströmt. Durchmischungsprozesse spielen in der Regel keine Rolle, das im Sternzentren mit schweren Elementen angereicherte Material kann letztlich nur durch eine Sternenexplosion freigesetzt werden!). Die Spektren der Photosphären  zeigen also die ursprüngliche Chemie der Gaswolke an, aus der sich Sterne gebildet haben. 
Unsere Sonne enthält neben H und He etwa 2% "Metalle" (Astronomen nennen alles außer H und He Metall...), Das Verhältnis aus Fe zu H beträgt z.B. 1: 31000. 
Sie gehört zu Sternen der Population I. 
Metallärmer und damit früher entstanden sind Sterne der Population II, die man vor allem im Halo unserer Galaxis findet. 
Hypermetallarm sind Sterne der Population III, die wahrscheinlich einige 100 Millionen Jahre nach dem Urknall entstanden sind. 
Da es damals fast keine Metalle gab ("Am Anfang war der Wasserstoff..." und das Helium, die beide in den ersten Minuten des Urknalls entstanden sind), konnten sich die Gaswolken bei der Fragmentation zu Sternen  nicht unter 10000 K abkühlen (Wasserstoffgas kann durch Strahlungsabgabe nicht kühler werden, es erfordert Beimischungen anderer Elemente). Die Fragmente aus Gas konnten sich wegen der höheren Temperatur nicht weiter teilen, es blieben massereiche Gaswolken als später zurück. Deswegen waren die ersten Sterne sehr massereich, hatten deshalb eine kurze Lebensdauer und sind schnell als Supernovae explodiert (und haben dadurch auch zur schnellen Anreicherung des interstellaren Gases mit schweren Elementen geführt). 
Aber es gab natürlich auch massearme Sterne, wenn auch mit geringerem Anteil als in späteren Sterngenerationen, und die können auch heute noch existieren. Nach ihnen sucht man, vor allem in unserer Galaxis, indem man über die Spektren die Elementhäufigkeit feststellt. Und man scheint fündig geworden zu sein: Es wurden zwei Sterne in unserer Galaxis gefunden, die ein 200000stel bzw. ein 250000stel des Eisenwertes der Sonne haben, also zur Population III, zu den ersten Sternen gehören könnten. 
Es scheint sie also heute noch zu geben, die Sterne, die das Licht im Universum, nachdem es durch das Abkühlen des Urknallgases verschwunden war, erneut angeknipst haben. Die Suche nach ihnen geht weiter.
 

Pressemitteilung des Paul Scherrer Instituts

 

Proton kleiner als gedacht

Das Proton – einer der Grundbausteine der Materie – ist kleiner als bisher angenommen. Das haben Experimente eines internationalen Forschungsteams bewiesen, die am Paul Scherrer Institut PSI im schweizerischen Villigen durchgeführt worden sind. Mit diesem Ergebnis muss entweder die Quantentheorie der Wechselwirkung zwischen Licht und Materie oder die Rydberg-Konstante korrigiert werden – die genaueste physikalische Theorie bzw. die am genauesten bestimmte physikalische Konstante. Zu bestimmen, welche Korrekturen hier nötig sind, stellt eine grosse Herausforderung für die Physiker dar. 

Für ihr Experiment haben die Forschenden «exotische Wasserstoffatome» erzeugt, in denen ein Proton von einem negativ geladenen Myon umkreist wird und nicht von dem normalerweise vorhandenen Elektron. Myonen sind sehr ähnlich wie Elektronen aber 200-mal schwerer. Die Bahn, auf der sich das Myon um das Proton bewegt, hat daher einen 200-mal kleineren Radius als die Bahn eines Elektrons. Dadurch wird die Myonenbahn stärker von der Grösse des Protons beeinflusst. Mit einem speziell entwickelten Laser konnten die Forschenden die Eigenschaften der Myonenbahn vermessen und daraus den Radius des Protons bestimmen. Die Experimente konnten nur am PSI durchgeführt werden, weil es weltweit nur hier einen hinreichend intensiven Myonenstrahl gibt. Über ihre Ergebnisse berichten die Forschenden in der neuesten Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Nature. 


Protonen gehören zu den fundamentalen Bestandteilen der Materie – zusammen mit den Neutronen bilden sie die Kerne der Atome. Um die Kerne kreisen wiederum die Elektronen. Aus diesen drei Teilchenarten besteht praktisch alles was uns umgibt. Das Wasserstoffatom ist das einfachste aller Atome. Sein Kern besteht aus einem einzelnen Proton, um das ein Elektron kreist. Historisch war es oft das beste Objekt um grundlegende Fragen der Physik zu untersuchen. Der Nobelpreisträger Theodor Hänsch vom Max-Planck-Institut für Quantenoptik, der auch an den Forschungsprojekt beteiligt ist, nennt es «den Stein von Rosetta der Quantenphysik». 

Um den Protonenradius zu bestimmen, haben die Forschenden in einzelnen Wasserstoffatomen die Elektronen durch negativ geladene Myonen ersetzt. Diese sind 200-mal so schwer wie Elektronen, und müssen sich daher nach den Gesetzen der Quantenphysik wesentlich näher am Proton bewegen, so dass die Eigenschaften ihrer Bahn viel stärker von der Grösse des Protons abhängen. So kann man aus den Eigenschaften der Myonenbahn den Protonenradius viel genauer bestimmen. Dazu wurde ein Infrarotlaser entwickelt, dessen Energie, also die Farbe des Laserlichts, sich in sehr kleinen Schritten verstellen lässt. Und der sehr schnell reagiert. Denn ein Myon zerfällt innerhalb von 2 Millionstelsekunden – in dieser Zeit muss also auch die Messung an dem Myonenatom durchgeführt werden, denn auch dieses verschwindet, wenn das Myon zerfällt.

Unerwartete Diskrepanz

«Eigentlich wollten wir den bekannten Wert für den Protonenradius genauer messen, damit die Quantenelektrodynamik (Quantentheorie der Wechselwirkung zwischen Licht und Materie) geprüft werden kann. Wir hätten nicht gedacht, dass es Diskrepanzen zwischen den bekannten Werten und unseren Messungen geben würde.» erklärt Franz Kottmann, der von Anfang an bei dem Projekt dabei ist. Das Ergebnis wich aber deutlich von dem bekannten Wert für den Protonenradius ab: 0,84184 Femtometer (1 Femtometer = 0,00 000 000 000 000 1 Meter) statt 0,8768 Femtometer – ein Unterschied, der viel zu gross ist als dass man ihn auf Messungenauigkeiten zurückführen könnte. Die Wissenschaftler diskutieren noch über die Gründe dieser Diskrepanz. «Entweder muss die genaueste Theorie der Physik oder die am genauesten bestimmte Konstante der Physik – die Rydberg-Konstante – korrigiert werden.» erklärt der Physiker Aldo Antognini und fügt hinzu: «Wo der Fehler liegt, werden andere bestimmen müssen. Aber unser nächstes Experiment, bei dem wir Helium statt Wasserstoff nutzen werden, dürfte dazu wichtige Hinweise liefern.» 

«Für das Experiment mussten alle Geräte völlig neu entwickelt und gebaut werden. So hat es rund zehn Jahre vom Anfang des Experiments bis zu dem Ergebnis gedauert» betont Kottmann «Die Idee für das Experiment gab es am PSI übrigens schon vor 30 Jahren. Damals hatte man aber nicht die technischen Möglichkeiten, um es tatsächlich durchzuführen.» 

Ihre Messungen führten die Forschenden an der Beschleunigeranlage des PSI durch. «Dieses Experiment könnte man nirgendwo sonst durchführen, weil nur hier der Myonenstrahl stark genug ist» erklärt Antognini. Den besonders starken Strahl braucht man, damit während des Experiments genügend Myonenatome für das Experiment entstehen. Und auch so dauern die Messungen mehrere Wochen – Tag und Nacht!

Internationale Forschung

Das Projekt beruht auf der Kooperation zahlreicher Einrichtungen aus verschiedenen Ländern, die ihre Kompetenzen auf den Gebieten der Beschleunigerphysik, Atomphysik, der Laser- und Detektortechnologie eingebracht haben. Die wichtigsten sind:

  • Paul Scherrer Institut PSI, Villigen, Schweiz
  • Institut für Teilchenphysik, Eidgenössische Technische Hochschule ETH Zürich, Schweiz
  • Max-Planck-Institut für Quantenoptik, Garching bei München, Deutschland
  • Laboratoire Kastler Brossel, Paris, Frankreich
  • Departamento de Física, Universidade de Coimbra, Coimbra, Portugal
  • Institut für Strahlwerkzeuge, Universität Stuttgart, Stuttgart, Deutschland
  • Dausinger & Giesen GmbH, Stuttgart, Deutschland
  • Departement für Physik, Universität Freiburg, Freiburg, Schweiz

Zeit ist relativ, hängt also vom Beobachtungsort und der Bewegung des Beobachters ab:

Je schneller man sich bewegt, desto langsamer vergeht die Zeit und je stärker das Gravitationsfeld in der Umgebung einer Uhr ist, desto langsamer läuft diese (Zeitdilatation). Dieser Effekt ist seit über 100 Jahren gut bekannt und spielt eine große Rolle bei der hohen Genauigkeit, die Navigationsgeräte inzwischen ermöglichen. Die Zeit im Satelliten läuft anders als im Auto, da der Satellit sich im schwächeren Gravitationsfeld befindet (die Uhr läuft schneller) und sich mit hoher Geschwindigkeit bewegt (die Uhr läuft langsamer). Würde man beide Effekte nicht bei der Navigation berücksichtigen, dann würden die Ortsangaben eines Navigationsgerätes schon nach kurzer Betriebsdauer eine Ungenauigkeit von vielen Kilometern haben.

Nun hat man am NIST (National Institute of Standard and Technology) eine optische Atomuhr entwickelt, die eine Ganggenauigkeit von einer Sekunde in Milliarden Jahren besitzt.

Damit kann man jetzt die Effekte der Zeitdilatation auch in einem Labor direkt messen. Geschwindigkeiten von 10 m/sec (schneller Radfahrer) und Höhenunterschiede von 33 cm reichen aus!

Am NIST hat man zwei optische Atomuhren verwendet, die einen Übergang bei 1,121 * 10^15 Hz (mit einer Linienbreite von 8 mHz) des einfach geladenen Aluminium-Ions zur Zeitmessung verwenden. Die genaue Frequenzmessung ist durch einen sog. Frequenzkamm ermöglicht worden. Bewegte sich eine der Uhren mit 10 m/sec, so fehlten in jeder Sekunde 8 Schwingungen (unter Billiarden von Schwingungen!).

Bei einer Anhebung einer Uhr um 33 cm vergrößerte sich deren Frequenz um 4 Billiardstel Prozent!

Diese extrem genauen Messwerte stimmen hervorragend mit den Aussagen der Relativitätstheorie überein.

Auf Grund der stärkeren Schwerkraft sind also im Laufe meines Lebens meine Füße um weniger als 1 Mikrosekunde jünger als mein Kopf! Der Alterungsprozess beginnt also im Kopf....

http://www.nist.gov/physlab/div847/aluminum-atomic-clock_092310.cfm

Energieniveaus von Atomen können durch Felder verschoben werden. Bei bestimmten Termen des Wasserstoffatoms  oder wasserstoffähnlicher Ionen spricht man dann ursprünglich von der Lamb-Shift als einer Energieabsenkung, nach dem Entdecker Willis Eugene Lamb (Nobelpreis 1955) und seinem Studenten Robert C. Retherford (1947).

Die Lamb-Shift kann man durch verschiedene Möglichkeiten veranschaulichen, die aber letztlich alle auf die Vakuumfluktuationen der Quantenelektrodynamik zurückzuführen sind. Die Erklärung dieser Energieabsenkung und die hervorragende Übereinstimmung mit den Messungen gilt als ein großer Triumph der modernen Physik.

Der Energieerhaltungssatz gilt im Mikrokosmos innerhalb extrem kurzer Zeiträume nicht, er wird durch die Unbestimmtheitsbeziehung zwischen Energie und Zeit ersetzt: Energie kann einfach vorhanden sein, und zwar um so mehr, je kürzer der betrachtete Zeitraum ist.

Das nennt man Vakuumfluktuation: Photonen oder Teilchen-Antiteilchen-Paare (auch geladene!) tauchen als Struktur des Vakuums auf. Elektrische Felder fluktuieren und schieben die Elektronen in den Atomen geringfügig hin und her...das Vakuum wirkt wie ein polarisiertes Dielektrikum, durch das die Elektronenenergie leicht gesenkt wird.

Als Fluktuation kann aber auch ein Photon auftauchen und wieder verschwinden. Das wirkt so als würde das Atom, bevor das Elektron in den Grundzustand übergeht, mehrmals ein Photon aussenden und wieder selbst absorbieren. Letztlich führt das zu einer Energieabsenkung des Übergangs zwischen dem angeregten Zustand und dem Grundzustand. Solche Prozesse mit virtuellen Photonen oder Teilchen-Antiteilchen-Paaren hat Feynman in der Quantenelektrodynamik präzise beschrieben.

Beim H-Atom liegt die Energieaufspaltung bei 4 MikroeV, bei wasserstoffähnlichen Uranionen bei 468 eV (Der Effekt wächst mit der vierten Potenz der Kernladungszahl Z).

Vor 35 Jahren wurde vorhergesagt, dass der Effekt bei Ansammlungen gleichartiger Atome stärker ist. Der anschauliche Grund besteht in der Kopplung der Atome über die Vakuumfluktuationen, also ein Atom kann die Energie freigeben, ein anderes Atom aufnehmen und wieder abstrahlen. Wie in einem Kollektiv hüpft die virtuelle Energie zwischen den Atomen hin - und her, bevor die Atome in den Grundzustand übergehen.

Eine Forschergruppe um Ralf Röhlsberger vom Hamburger DESY und der Europäischen Synchrotronstrahlungsquelle ESFR in Frankreich ist es nun gelungen diesen Kollektiveffekt mit einer neuen Messmethode nachzuweisen. Die Eisenatome befanden sich zwischen zwei nur wenige Nanometer voneinander entfernten Platinspiegeln. Die genaue Messung der Frequenzverschiebung geschah dann über den Mößbauereffekt.

http://www.pro-physik.de/Phy/leadArticle.do?laid=12940