aus pro-physik.de:
 
Der perfekte Isolator
 
Ein internationales Forscherteam hat die Annahme widerlegt, dass ein perfekter Isolator nur theoretisch, das heißt am prinzipiell unerreichbaren absoluten Nullpunkt der Temperatur existieren kann.

Regensburg/Argonne (USA) – Ein Forscherteam unter der Leitung des Tieftemperaturphysikers Christoph Strunk, Professor an der Uni Regensburg, hat einen Supra-Isolator oder genauer gesagt, einen bislang unbekannten supra-isolierenden Zustand der Materie entdeckt. Damit wurde die Annahme widerlegt, dass ein perfekter Isolator nur theoretisch, das heißt am prinzipiell unerreichbaren absoluten Nullpunkt der Temperatur bei –273 °C existieren kann. 

Überraschend an der Entdeckung dieses Materiezustandes, der elektrischen Strom besonders gut isoliert, ist der enge Zusammenhang mit dem in vielen Metallen auftretenden Phänomen der Supra-Leitung: Dabei verlieren beispielsweise Blei, Zinn oder Aluminium bei einigen Grad über dem absoluten Nullpunkt ihren elektrischen Widerstand vollständig, sie setzen dem elektrischen Strom also keinerlei Widerstand mehr entgegen. Die Forschergruppe mit Mitgliedern aus Regensburg, Bochum, Novosibirsk (Russland), Leuven (Belgien) und Argonne (USA) hat dünne Schichten der Metalllegierung Titan-Nitrid untersucht, die bei tiefen Temperaturen unterhalb von 4,86 Kelvin ebenfalls supra-leitend ist. Macht man dieses Material jedoch weniger als fünf Nanometer dünn, so reagieren die darin enthaltenen Elektronen bei Anlegen einer kleinen elektrischen Spannung ganz anders, als in einer dickeren Schicht: Bei noch tieferen Temperaturen zwischen 20 und 70 Millikelvin und einem äußeren Magnetfeld von 0,9 Tesla wird eine so genannte Ladungsenergie aufgebaut, die den Stromfluss vollständig unterdrückt. Unter diesen extremen Bedingungen kann die Titan-Nitrid-Legierung einen Zustand mit einer unmessbar kleinen Leitfähigkeit erreichen. Dieser fundamental neue Zustand beruht auf der Unschärfe-Relation der Quantentheorie und verkehrt die Supra-Leitung in ihr exaktes Gegenteil.
 
Ergänzung: Nun verhält sich blockförmiges Titannitrid normalerweise wie ein Supraleiter. Eine dünne Folie weist dagegen herstellungsbedingt eine größere Zahl von Unregelmäßigkeiten im Kristallgitter auf. Die Störstellen verhindern, dass die ganze Titannitrid-Schicht durchgängig den Strom leitet. Vielmehr bilden sich viele winzige supraleitende Inseln. 

Auf den Inseln verbinden sich die Elektronen zu Paaren wie in einem herkömmlichen Supraleiter. Diese so genannten Cooper-Paare können sich, anders als einzelne Elektronen, reibungsfrei durch das Metall bewegen. Um nun quer über die Schicht zu reisen, müssen die Paare von Insel zu Insel springen. Doch die elektrische Abstoßung durch Cooper-Paare, die sich bereits auf der Zielinsel - der Ladungsenergie - befinden, erschwert das Inselhopping. Mit abnehmender Temperatur gelingt es somit immer weniger Cooper-Paaren zu springen, weil ihre Energie kleiner als die Ladungsenergie ist. Die Leitfähigkeit der Schicht sinkt mit abfallender Temperatur allmählich wie in einem herkömmlichen Isolator. 
Doch bei einer Temperatur von 20 Millikelvin erlebten die Forscher eine Überraschung: Die Leitfähigkeit der Titannitrat-Schicht stürzte abrupt ab. 

Warum? Mit der herkömmlichen Theorie ließ sich diese Supraisolation nicht erklären. Die Physiker bieten eine neue Deutung an: Bei sehr tiefen Temperaturen verbinden sich die Cooper-Paare über die Inselgrenzen hinweg zu einer Art Kollektiv und springen alle gleichzeitig. Dabei müssen sie aber auch die riesige kollektive Ladungsenergie sämtlicher Elektronen auf allen Inseln überwinden. Bei zu geringer elektrischer Spannung gelingt dies nicht, und der Strom kommt vollständig zum Erliegen. 

Erst bei einer höheren angelegten Spannung nimmt der Stromfluss wieder abrupt zu. Lawinenartig scheint an diesem Punkt die Beweglichkeit der Ladungen einzusetzen. „Ein Superisolator kann nicht auftreten ohne die Existenz von Supraleitung in dem gleichen Film“, sagt Valerii Vinokur vom Argonne National Laboratory. Auf dieser Erkenntnis baut die Erklärung auf, um das völlig entgegengesetzte Verhalten in ein und demselben Material bei nur geringfügig veränderten äußeren Bedingungen verstehen zu können.

Unterstützt mit theoretischen Abschätzungen schlagen die Physiker vor, dass beim Übergang von Supraleiter zum Superisolator elektrische Ladungen und magnetische Wirbel ihre Rollen tauschen. In Supraleitern können sich Ladungen in Form von Cooper-Paaren frei durch ein Material bewegen. Ein Magnetfeld durchdringt dabei das Material und bildet Feldquanten, die in wechselnden Richtungen rotieren. Beim Superisolator dagegen sollen die magnetischen Wirbel Paare bilden und um entgegengesetzte Ladungen zirkulieren. Dadurch werden die Cooper-Paare gebunden und an einer festen Position gehalten. Es kann überhaupt kein Strom mehr fließen und die elektrische Leitfähigkeit sinkt auf Null ab.

Unter Festkörperphysikern wird diese Erklärung allerdings nicht uneingeschränkt akzeptiert. „Diese theoretische Interpretation wird immer noch stark diskutiert“, sagt Paul Müller von der Universität Erlangen-Nürnberg. Auch wenn es sich hierbei um einen Disput unter Grundlagenforschern handelt, kann sich Vinokur auch praktische Anwendungen für Superisolatoren vorstellen. Er denkt dabei an eine perfekte Batterie, die wegen der unterbrochenen Leitfähigkeit sich überhaupt nicht mehr mit der Zeit bei ungenutzter Lagerung entladen kann. „Aber bis zu kommerziellen Modulen ist es noch ein weiter Weg“, so Vinokur.

Jan Oliver Löfken 

Weitere Infos:
Weitere Literatur:
  • Haviland, D. B., Liu, Y. & Goldman, A. M., Phys. Rev. Lett. 62, 2180–2183 (1989).
  • Orr, B. G., Jaeger, H. M., Goldman, A. M. & Kuper, C. G., Phys. Rev. Lett. 56, 378–381 (1986).
  • Geerligs, L. J. et al., Phys. Rev. Lett. 63, 326–329 (1989).